Descriere
Franz Schuberts Klavierquintett in A-dur (D 667), das unter der Bezeichnung „Forellenquintett” sein bekanntestes Kammermusikwerk wurde, ent¬stammt jenen für ihn so glücklichen Sommertagen des Jahres 18 19, als der junge Musiker, eben dem Joch des verhaßten Schulmeisterberufs endgültig entronnen, mit dem Sänger Johann Michael Vogl durch Oberösterreich reiste. Erstmals konnte er beglückt den Enthusiasmus erleben, mit dem seine Musik, vor allem die von Vogl begeisternd und ver¬ständnisvoll gesungenen Lieder, von den gastge¬benden Bürgerfamilien aufgenommen wurde. Eine Welle freundlichen Verständnisses und warmherzi¬ger Sympathie schlug den vom Leben bisher wahr¬lich nicht Verwöhnten hier entgegen, und es ist verständlich, daß dies zu einer Hochstimmung führte, die sich aus seinen in diesen Wochen ge¬schaffenen Werken unschwer ablesen läßt. In Steyr fanden die beiden Künstler freundliche Aufnahme im Hause des Bergwerksdirektors Sylvester Paum-gartner, eines begeisterten Musikfreundes, der be¬sonders von Schuberts 1816 auf einen Text von Christian Friedrich Daniel Schubart komponiertem Lied „Die Forelle” entzückt war. Als er den Wunsch äußerte, Schubert möge nach dem Vorbild eines damals eben erschienenen, vielgespielten Wer¬kes von Johann Nepomuk Hummel ein Klavier¬quintett schaffen, kam dieser dem Verlangen des Musikfreundes nicht nur mit Freude in offenbar sehr kurzer Zeit nach, sondern er fügte dem fünf-sätzigen Werk als besondere Erkenntlichkeit ge¬genüber seinem Gastgeber auch einen Variations¬satz mit dem Lied als Thema ein, nach dem die Komposition ihren Namen erhielt.
Das Forellenquintett ist das erste Kammermu¬sikwerk Schuberts, in das ein eigenes, zuvor kom¬poniertes Lied eingegangen ist. Die Übertragung eines vokal konzipierten musikalischen Gebildes in die rein instrumentale Sphäre – ein Vorgang von erheblicher Tragweite, über dessen musikästheti¬sche Implikationen hier nicht gesprochen werden . kann – ist für Schubert höchst charakteristisch, und er hat sie in seinem späteren Schaffen noch mehrfach praktiziert. Anders aber als beispielsweise im Streichquartett d-moll aus dem Jahre 1824, in dem der Variationssatz über das Lied „Der Tod und das Mädchen” gleichsam das gedankliche Zentrum bil¬det, von dem aus das ganze Werk deutbar ist, läßt sich beim Forellenquintett von einer solchen Aus¬strahlung des Vanationssatzes auf die gesamte Komposition nicht oder allenfalls nur sehr bedingt sprechen. Die wunderbare Frische und Gelöstheit, der musikantische Überschwang des Instrumental¬werks ist keinesfalls aus der Aussage des Liedes • ableitbar, sondern steht sogar in deutlichem Ge¬gensatz zu ihr. Denn nur allzu leicht täuscht die unübertreffliche Bildhaftigkeit des’beinahe das gan¬ze Lied durchziehenden und dessen Charme aus¬machenden, das Huschen des Fischleins prägnant erfassenden Begleitmotivs darüber hinweg, daβ in diesem Lied, das zu Beginn der Restaurationszeit entstandm ein Konflikt aufscheint, der sich für Schubert und seine Generation bald zu einem zentralen Lebensproblem auswuchs: die Bedrohung des Men¬schen durch die Trübung seines Lebenselements.
Ungefährdet schwimmt die Forelle im Bache, so¬lange Helle über ihm hegt; wenn aber der Fischer „das Bächlein tückisch trübe” macht, ist das Fisch¬lein verloren. Daß dies für Schubert, der die in sei¬ner Zeit um sich greifende Verdüsterung der politi¬schen Szenerie sensibel wie kaum ein anderer emp¬fand, als ein Lebensgleichnis erscheinen mußte, liegt auf der Hand, und es ist in diesem Zusammen¬hang höchst bedeutsam, daß der Komponist bei seiner Vertonung auf die letzte Strophe des Ge¬dichtes von Schubart verzichtete, die in recht phili¬ströser Weise das Schicksal der Forelle zum war¬nenden Exempel für junge Mädchen erklärt. Mit einer solchen Einengung der Aussage des Liedes konnte er nicht einverstanden sein.
Es scheint durchaus sinnvoll, sich die Bedeutung des Liedes als Gleichnis für Schuberts lebensge¬schichtliche Situation zu vergegenwärtigen, auch wenn der Komponist darauf verzichtet hat, die in ihm gestaltete Problematik in das Instrumentalwerk hineinzunehmen und in diesem, mit dessen spezifi¬schen Mitteln, auszutragen. Möglicherweise hätte er an diesem Punkt seiner künstlerischen Entwick¬lung auch noch nicht über die kompositorischen Strategien verfügt, die eine rein instrumentale Dar¬stellung solch tiefgreifenden Konflikts erforderte. So nutzte er allein die in der Tat außerordentlich prägnante und deshalb für eine variative Verarbei¬tung besonders geeignete Melodie des Liedes als Thema einer Reihe von sechs meisterhaften Varia¬tionen. Es wird zunächst von den Streichinstru¬menten in einem schlichten Satz vorgestellt, und die folgenden Variationen, in denen es, in der Regel nur wenig verändert, jeweils in einer anderen Stim¬me erscheint, umkleiden es in höchst lebendiger Weise mit immer neuer Motivik. Am Schluß prä¬sentiert es sich genau in jener Gestalt und mit jenem Begleitmotiv wie im Liede, und es ließe sich also sagen, daß die Variationen den Hörer nicht vom Liede weg, sondern zu diesem hinführen, daß sie gleichsam verschiedene Stationen eines Prozesses markieren, der die Melodie schließlich in die ihr gemäße Beleuchtung rückt.
Unverstellte Liedhaftigkeit, wie sie in diesen hin¬reißenden Variationen zutage tritt, wird der Hörer auch in den anderen Sätzen des Werkes bemerken. •Die Neigung zu liedhafter, breit ausgesponnener Thematik-mit allen Konsequenzen, die sich daraus für die Form als Ganzes ergeben – ist so sehr ein Charakterisükum der instrumentalen Sprache Schu¬berts, daß auch die Sonatenform des ersten Satzes (Allegro vivace) von ihr nicht unberührt bleibt. Nach dem beginnenden Aufschwung des Klaviers im Dreiklang über zwei Oktaven fallen die Streich¬instrumente sogleich mit einem kantablen Thema ein und schlagen damit jenen Gestus breitflächigen Ausmusizierens und innig-beseelten Singers an, der im gesamten Satz nur selten und dann stets nur für kurze Zeit verlassen wird. Von der lakonischen Knappheit und Konzentration eines Beethoven-schen Sonatensatzes ist diese Musik des jungen Schubert denkbar weit entfernt: ihr Sinn erfüllt sich nicht in dialektischer Entwicklung’der gesetz¬ten Themen, sondern in ihrer flächenhaften Aus¬breitung und ständig neuen Beleuchtung und Fär¬bung durch harmonische und instrumentatorische Mittel.
Der zweite Satz (Andante) empfängt seinen Cha¬rakter aus der Konfrontation einer lyrischen, weit¬ausgreifenden Melodie mit einem scharf punktierten Rhythmus, der zunächst Begleitfigur zum lyrischen Gesang ist, dann aber mit energischem, beinahe -trotz des Dreivierteltakts – marschartig wirkendem Schreiten bestimmend in den Vordergrund tritt. Zweimal nacheinander vollzieht sich in diesem An¬dante eine solche Ablösung, weshalb man in ihr wohl die kompositorische Idee des Satzes sehen darf.
Das folgende Scherzo (Presto), ein hinreißend vitales Stück, ist unverkennbar dem Vorbild des Beethovenschen Sinfoniescherzos nachgebildet, doch klingen in dem beschaulich-wiegenden Trio auch typisch Schubertsche Töne auf.
Das Finale (Allegro giusto) bietet ein schönes Beispiel für die bei Schubert nicht seltene Einbezie¬hung slawischer Intonationen. Sein Thema zeigt insbesondere mit der Aneinanderreihung rhyth¬misch sehr einprägsamer, knapper Motive unver¬kennbar Merkmale, wie sie der Volksmusik der vielen slawischen Völkergruppen eigen waren, die unter dem Joch der habsburgischen Monarchie leb¬ten und deren Musik zu der natürlichen musikali¬schen Umwelt gehörte, in der Schubert aufwuchs.
Die zweite auf dieser Schallplatte eingespielte Komposition, das „Adagio und Rondo concertant” F-dur für Klavierquartett (D 487) ist ein echtes Ju¬gendwerk Schuberts. Er schrieb es nach einer glaubwürdigen Überlieferung im Oktober 1816 für den Bruder seiner Jugendfreundin Therese Grob, der „Violoncello und besonders gut Ciavier spiel¬te”. Möglicherweise hat er an eine mehrfache Be¬setzung der Streichinstrumente gedacht, wodurch der Konzertcharakter des reizvollen Werkes noch deutlicher zutage treten würde.
Wolfgang Marggraf (1987)
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